Eine Anmerkung zur Einleitung des Kapitels

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Dieses Thema enthält 0 Antworten, hat 1 Stimme, und wurde zuletzt vor vor 4 Jahre, 4 Monaten von  Daniel Kreutz aktualisiert.

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    Daniel Kreutz
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    In seiner Einleitung zum 5. Kapitel unternimmt Reiner Schmidt den Versuch, die recht unübersichtliche Landschaft der damaligen politischen Organisationen “entlang der vier historischen ‘Internationalen’ und dem Maoismus” ein wenig zu sortieren, um der Leserschaft den Überblick zu erleichtern. Zweifellos ein lobenswertes, aber wie sich zeigt, auch kein einfaches Unterfangen.

    Die I. Internationale (IAA) sei, ist da zu lesen, “von Marx und Bakunin gegründet” worden. Nach machen Quellen (ich bin da zu wenig Historiker, um mir ein abschließendes Urteil zu erlauben) trat Bakunin jedoch erst 1868, vier Jahre nach Gründung der IAA, ihrer Genfer Sektion bei. Die “Neugründung” der IAA durch die AnarchosyndikalistInnen stand aber jedenfalls nicht in der Tradition der “marxistischen”, seit 1889 von der II. Internationale beerbten IAA, sondern verkörperte vielmehr die ausdrücklich Entgegensetzung des internationalen Anarchosyndikalismus gegen die marxistisch inspirierte sozialistische Bewegung. Die Darstellung könnte indes zu dem Trugschluss verleiten, die anarchosyndikalistische IAA stehe irgendwie doch in der Tradition der Marx’schen IAA, statt gerade den Bruch mit dieser auszudrücken.

    Weiter heißt es, die heutige “‘Sozialistische Internationale’ von sozialdemokratischen und sozialisatischen Parteien und Organisationen” stehe in der “Tradition” der 1889 gegründeten II. Internationale. Wie wir aber (fast?) alle wissen (Reiner weiß das jedenfalls sehr gut), verlor die II. Internationale mit der Unterstützung des Ersten imperialistischen Weltkriegs zunächst durch ihre stärkste (deutsche) Sektion den mit ihrer Gründung verfolgten Sinn und Zweck, was unmittelbar die Frage nach einer neuen internationalen Organisation des revolutionären Sozialismus auf die Tagesordnung setzte. Gar eine Traditionslinie von der heutigen, von neoliberal gewendeten Post-Sozialdemokratien dominierten “Sozialistischen Internationale” zu der Organisation von Engels, Bebel, Lenin und Luxemburg zu behaupten hat ganz offentsichtlich keinen Sinn. Fragwürdig ist auch, wenn hier bezüglich der Kölner Jusos und der Falken summarisch “Bezüge zur III. Internationalen” behauptet werden – zum einen wegen der grundsätzlichen Darstellungsprobleme der Komintern, zum anderen aber auch wegen der im Aufsatz von Horst Hilse deutlich werdenden “trotzkistischen” Tendenzen innerhalb der Falken, die eher Bezüge zur IV. Internationale nahelegen würden.

    Nicht besser steht es um die Behauptung, DKP und SDAJ seien “eindeutig” in der Tradition der 1919 unter Mitwirkung von Lenin gegründeten III. Internationale zu sehen. Jenseits aller damaligen Richtungskämpfe um die Interpretation der Geschichte sollte heute doch allgemein klar sein (und Reiner weiß das auch), dass sich die Komintern durch den Stalinismus lange vor ihrer formellen Auflösung ins Gegenteil ihrer selbst verwandelte: von einem Werkzeug der internationen (mindestens europäischen) sozialistischen Revolution in ein Werkzeug der sowjetrussischen Außenpolitik, das die Lebeninteressen der internationalen Arbeiterbewegung dem vermeintlichen “Aufbau des Sozialismus in einem Land” unterwarf, ja sogar in ein Werkzeug blutiger Verfolgung oppositioneller revolutionärer KommunistInnen. Die Suggestion einer Traditionslinie von denen, die den stalinistischen Terror und die “post-stalinistische” bürokratische Parteidiktatur in der UdSSR verteidigten, zur Internationale Lenins (und Trotzkis ;-) macht keinerlei Sinn und verdeckt den fundamentalen Traditionsbruch, der sich mit dem Stalinismus vollzog.

    Unverständlich ist mir auch, warum es heißt, dass sich die trotzkistischen Organisationen positiv “oder negativ” auf die IV. Internationale bezogen hätten. Positiv zweifellos – nur dass darüber gestritten wurde, welcher internationale Organisationsansatz einer IV. denn zu Recht für sich in Anspruch nehmen könne, in der Tradition der Trotzki’schen Internationale zu stehen. Aber “negativ”?

    Tatsächlich lassen sich die vier Internationalen (ich lasse die anarchosyndikalistische IAA hier beiseite) nicht als gleichsam nebeneinander bestehende Traditionsstränge deuten. Vielmehr war jede “neue” Internationale immer auch der Versuch, die besten Traditionen ihrer sämtlichen Vorgängerinnen “aufzuheben” (zu bewahren und daran anknüpfend fortzuentwickeln) und diese im Fall der II. und III. gegen schreckliche Entartungen (Krieg und Stalisnismus) zu verteidigen, die beide auf ihre Weise maßgeblich dazu beigetragen haben, dass heute der globale Kapitalismus triumphieren zu können glaubt. Der Versuch, die damalige linke Organisationslandschaft entlang der vier Internationalen zu sortieren, hat leider zur Verabsolutierung nicht mal “der Form”, sondern der jeweligen bloßen Namen geführt, während sämtliche historisch nicht nur “verschiedene”, sondern außerordentlich gegensätzliche Inhalte dabei unter den Tisch fallen. Das ist schade für ein Buch, das sich doch insgesamt der Tradition der Aufklärung verpflichtet fühlt. (Positiv gedacht, könnte man vielleicht auch sagen: Reiner hat die Internationalen überhaupt erst im Zusammenhang eingeführt und uns damit die Möglichkeit gegeben, hier darüber zu räsonnieren.)

    Hätte es eine andere, bessere Möglichkeit des “Sortierens” in vergleichbarer Kürze gegeben? Das wüsste man vermutlich erst, wenn man den Versuch unternähme, sowas zu formulieren. Eine Sortierung nach inhaltlichen Aufhängern hätte vielleicht sein können: Sozialdemokratie (in den 70er/80ern bestand die ja noch), Stalinismus (in der “Moskauer” und “Pekinger” Variante), Linkssozialismus (die marxistischen Strömungen, die gegen die beiden dominierenden Richtungen für revolutionäre demokratische Selbstermächtigung standen, allerdings ein recht differenziertes Feld von der ArPo über die TrotzkistInnen bis zum SB, womöglich einschließlich des (nicht-marxistischen) Anarchosyndikalismus). Allerdings hätte auch das wohl Kritiken an dieser Stelle ausgelöst. Wie gesagt: Die “Sortierung” ist ein zweifellos lobenswertes, aber kein einfaches Unterfangen…

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